Jahrgang 1980 – also langsam alt genug, um auch lange Strecken zu laufen. Vor 15 Jahren schnaufte ich noch als Dampflok durch die Heide. Heute schnaufe ich immer noch, aber statt anfangs 2-5 km, schnaufe ich nun immer öfter auf diversen Ultraläufen bis zu 100 km. Und das bevorzugt auf Singletrails in den Bergen. Neben der Länge der Strecke hat man dort jedoch auch noch etliche Höhenkilometer zu bewältigen, was einen besonderen Reiz ausübt.
Lauf-Geschichte
An Wettbewerben teilzunehmen und sich mit anderen Läufern zu messen war nie mein Ziel. Daher lief ich erst nach knapp 10 Jahren meine ersten kleineren Wettkämpfe zwischen 5 und 21 km. Das entsprach in etwa dem Umfang meiner Trainingsläufe. Für längere Distanzen fehlte die Versorgung von außen – und jedes Mal zu Hause vorbeirennen, um eine Banane zu essen, war keine Lösung. Es folgte der erste Marathon 2009. Der Knoten war geplatzt. Mir tat alles weh und ich sagte mir, dass ich so etwas nie wieder machen würde. Neben unendlich vielen kleineren Läufen konnte ich dann aber dennoch so manchen Straßenmarathon absolvieren. Mir lag aber auch am Herzen, andere Menschen zum Laufen zu begeistern. So konnte ich oft meine Kollegen zu Marathonstaffeln oder zu kurzen Firmenläufen motivieren.
Bald merkte ich, dass Marathons in den Bergen (Jungfraumarathon, Interlaken, Schweiz) oder unter der Erde (Untertagemarathon, Sondershausen, Deutschland) viel mehr Spaß machten, da die Bedingungen immer vollkommen unterschiedlich sind und eine enorme Herausforderung gegenüber bloßen Zeitjagden auf der Straße darstellen. Nach einigen Jahren auf der Straße mutierte ich somit zum Trailläufer – wobei auf so ziemlich jedem Untergrund gelaufen wird: Wald, Fels, Schnee, Matsch, Geröll, Eis, Salz, Sand, Kuhgitter, Bach oder Schafscheiße – eben alles außer Asphalt. Das machte so viel Spaß, dass ich mehr Spaß wollte – und der erste Ultralauf mit 78km hörte sich sehr nach sehr viel Spaß an: Bergluft, nette Menschen und 2500 Höhenmeter. Und eben fast ein doppelter Marathon. Dazu noch im hochalpinen Gelände. Nachdem die ersten größeren Schmerzen verflogen waren, meldete ich mich für weitere Läufe an. Mal schauen, was der Körper alles so kann, wenn man nur will. Und er kann jede Menge! Seitdem bin ich ein knappes Dutzend weitere Ultras gelaufen mit Entfernungen zwischen 73 und 110 km. Nicht nur die Länge wuchs stetig, auch die Höhenmeter. Das nächste große Ziel ist der UTMB – ein Lauf in Chamonix, einmal um das Mont-Blanc-Massiv herum. 170 km. 10.000 Höhenmeter. Zeitlimit: 46 Stunden.
Sport
Neben dem Laufen gehört für mich Schwimmen zum festen Bestandteil meines Alltags. Gedacht als Ausgleichsdisziplin zum Laufen entwickelte sich das Schwimmen immer mehr zum Extremsport. Seit ca. 4 Jahren nehme ich regelmäßig an 24-Stunden-Schwimmen teil. Anfangs nur, um in der Nachtwertung die Pokale abzuräumen, später, um die Schwimmen mit Gesamtsiegerpokalen zu verlassen – ab und zu statt des Pokals auch mal ein Handtuch oder ein Set bestehend aus Duschgel und Deo. Es steht eben mehr der Breitensportcharakter im Vordergrund, so dass ich durchaus mit kleinen Kindern und Rentnern die Bahn teile. Da gibt es dann nur eine handvoll Schwimmer, die ernsthaft um den Sieg kämpfen. Beim Internationalen 48-Stunden-Schwimmen in Spremberg konnte ich mich 2014 aber auch mal mit sehr vielen Freaks aus anderen Ländern messen, die nicht „nur zum Spaß“ dabei waren. Dabei stellte ich mit 80 km den inoffiziellen Weltrekord der Männer auf und belegte den 2. Platz – Pokal und Sekt inklusive!
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Ausdauersport ist jedoch etwas, das man eher für sich macht. Das Reden beim Schwimmen überlasse ich den Rentnern. Um den Freundeskreis mit der Lust am Auspowern zu verbinden, verabrede ich mich schon seit vielen Jahren zum Squash, Badminton, Klettern, Tischtennis oder Bergsteigen. Meinen langjährigen Laufpartner Mathias konnte ich sogar schon zum Ultralaufen überreden.
Motivation
Den Körper in Bewegung zu halten und gerade beim Ausdauersport immer wieder an die physischen und vor allem psychischen Grenzen zu bringen – wer hat heutzutage schon noch die Lust und die Zeit dafür? Zugegeben, für dieses Projekt reicht es nicht neben der Arbeit abends ein wenig joggen zu gehen. Trainiere ich gezielt für einen Ultra, dann ist die Motivation deutlich höher, im Training auch mal mehr als 3 Stunden zu laufen. Man verschiebt die eigenen Grenzen. Das geht aber nur, indem man sie überschreitet. Viele Nicht-Ultraläufer sehen darin nur eine unnötige Sucht, es wieder eine Spur extremer zu machen als andere. Dabei geht es beim Ultra nicht darum, andere in den Schatten zu stellen. Es geht immer nur um einen selbst. Dass man sich durchbeißt, sich überwindet und auch bei schlechten Bedingungen seinen Weg läuft. Dass man von anderen als verrückt bezeichnet wird, freut mich aber nur umso mehr. Was ist schlimm daran, einen „Knall“ zu haben? Dranbleiben, nicht aufgeben, Ziele erreichen – das sind Erfahrungen fürs Leben.
Von Rechenspielen, also wie schnell man im Schnitt laufen muss, um soundso schnell zu sein, Hochrechnungen der Marathonzeiten und Umsetzen von Trainingsplänen halte ich gar nichts. Einfach nur Laufen. Ohne Uhr. Pulsmesser oder Laufapps zur Selbstoptimierung habe ich noch nie genutzt. Es ist eine sehr schöne Erfahrung, während und nach einem Ultra den schmerzenden Körper zu spüren, weil man weiß, dass dieser Schmerz beim nächsten Mal deutlich später einsetzen wird und noch schneller wieder weg sein wird. So arbeitet man sich Schritt für Schritt an immer längere Distanzen heran auch wenn fast alle sagen, dass das gar nicht geht.
Ultralaufen hat viele Vorteile. Man kann aus dem Alltag ausbrechen und seinen Gedanken freien Lauf lassen, der Kreislauf kommt in Schwung und man kann essen, was man will. Man kommt viel rum, bleibt nicht vor der Glotze kleben und mutiert nicht zum Workaholic. Bei Ultraläufen kann man locker mit Wegbekanntschaften plaudern, während bei Kurzstreckenläufen nur auf die Uhr geschielt wird. Mit Zweifeln, ob ich einen Ultra schaffe oder nicht, habe ich mich noch nie beschäftigt. Einen Ultra läuft man eben nicht nur mit den Beinen, sondern auch mit dem Kopf. Auch deshalb suche ich mir Läufe aus, die die Psyche sehr stark beanspruchen. Sei es durch Kälte, Hitze oder Dunkelheit bei Ultratrails in den Alpen oder Stacheldraht, Stromschläge und Eiswasser beim Tough Guy in Birmingham. Je extremer die Bedingungen, denen man sich freiwillig stellt, desto angenehmer die Umstände, die unfreiwillig auf einen zukommen.